Wer war Friedrich Bödecker?
Man muss nicht unbedingt wissen, wer er war, um zu wissen, dass es ihn gab. Denn wer in Niedersachsen mit Kinder- und Jugendliteratur zu tun hat, ist sicherlich schon einmal mit dem Verein in Berührung gekommen, dessen Namensgeber er ist: der Friedrich-Bödecker-Kreis.
Im Jahre 1953 gründete sich in Hannover eine „Arbeitsgemeinschaft Buch, Film und Fernsehen“. Mitbegründer und Initiator war der damalige Vorsitzende der „Vereinigten-Jugendschriften-Ausschüsse“ Friedrich Bödecker. Er wollte gemeinsam mit seinen damaligen Mitstreitern, darunter Lehrer*innen, Bibliothekar*innen und Sozialpädagog*innen, die demokratischen Ideen der jugendkulturellen Bildungsarbeit, die durch den Nationalsozialismus 1933 abgeschnitten wurden, als Beitrag zum demokratischen Neuaufbau der Bundesrepublik Deutschland wieder aufnehmen und weiterentwickeln.
Der Demokratie verpflichtet
Schon bei der Gründung waren einige Grundsätze, die auch heute noch Bestand haben, wichtig. Die Initiative war und blieb unabhängig von parteipolitischen und berufsständischen Interessen, auch wenn sie einer bestimmten demokratischen Tradition verpflichtet war und ist, die das Recht auf Förderung der kulturellen und literarischen Bildung für alle Bevölkerungsschichten, insbesondere für Kinder und Jugendliche, vertritt.
Im Jahr 1954 verstarb Friedrich Bödecker plötzlich und unerwartet. Im September desselben Jahres wurde die Arbeitsgemeinschaft für Buch, Film und Fernsehen in Friedrich-Bödecker-Kreis e. V. umbenannt. Damit wurde der Name „Bödecker“ zum Begriff in der jugendkulturellen Bildungsarbeit in der Bundesrepublik Deutschland, denn das ehrenamtliche Engagement der gesamten Familie, hauptsächlich des Sohnes des Verstorbenen, Hans Bödecker, der den Vorsitz des Vereins ab 1964 übernahm und bis November 2000 innehatte, führte zu einer beispiellosen Entwicklung des Vereins. Der zu Beginn seiner Tätigkeit kaum über die Stadtgrenzen Hannovers hinaus bekannte, heute im Bereich der Kinder- und Jugendliteratur in ganz Deutschland tätige Kreis, wird auch im europäischen Ausland beachtet.
Von der Medienerziehung zur Leseförderung
Schon mit Beginn der Arbeit des Kreises, als man noch stark die gesamte Medienerziehung in die Arbeit einbezog (es wurden z. B. Filme für Kinder und Jugendliche vorgeführt) stand auch die Begegnung von Schriftsteller*innen mit Kindern und Jugendlichen auf dem Plan der Aktivitäten des Friedrich-Bödecker-Kreises. Die ausschließliche Hinwendung zur Kinder- und Jugendliteratur und zur Leseförderung vollzog sich bereits in den späten 1950er Jahren. Heute ist der Friedrich-Bödecker-Kreis e. V. hauptsächlich bekannt durch die Organisation von Autorenbegegnungen für Kinder und Jugendliche. Damit ist allerdings das Spektrum der Initiativen und Aktivitäten bei weitem nicht erfasst. Im Zentrum aller Bemühungen stand und steht immer das Ziel, für die Literatur zu interessieren, die literarische Erziehung zu fördern, Kindern und Jugendlichen zu helfen, einen Zugang zur Literatur zu finden. Gleichzeitig wird mit diesen Begegnungen den Autor*innen die Möglichkeit gegeben, einerseits im Gespräch mit ihrer Zielgruppe die Wirkung und Tragfähigkeit ihrer literarischen Arbeit zu überprüfen und andererseits auch einen Teil ihrer Existenz als Schriftsteller*in zu sichern. Hier ergänzen sich Leseförderung und Literaturförderung.
Über die Jahrzehnte der Arbeit des Friedrich-Bödecker-Kreises hat sich sowohl die Quantität als auch die Qualität der Autorenbegegnungen entwickelt. 1955 fanden in Niedersachsen 60 Lesungen statt, 1977 waren es 600 Lesungen und im Jahr 2000 konnten insgesamt knapp 1400 Lesungen durch den Friedrich-Bödecker-Kreis e. V. organisiert werden. Die eingesetzten Autor*innen kamen aus ganz Deutschland, Österreich und der Schweiz und von Beginn an auch aus dem europäischen Ausland. So haben z.B. Michael Ende, Christine Nöstlinger (A), Eveline Hasler (CH), Irina Korschunow, Achim Bröger, aber auch Autor*innen wie Ann Rutgers und Miep Diekmann (NL) oder Ota Hofman (CSSR) ihre ersten Lesungen in Niedersachsen gehalten. Organisiert wurde alles von der Familie Bödecker in ehrenamtlicher Arbeit. Es gab zwar Zuschüsse der Bezirksregierung und andere Zuwendungen, auch einen Büroraum in der 2. Etage des Künstlerhauses, aber eine Institutionelle Förderung des Landes und damit die Einrichtung einer hauptamtlichen Geschäftsstelle war erst ab 1990 möglich.
Hannover wird zum Treffpunkt für Autor*innen
Die auf Lesereise befindlichen Autor*innen trafen sich im Hause Bödecker in Hannover-Waldheim, bis es dort für die immer größer werdende Anzahl der eingeladenen Schriftsteller*innen zu eng wurde. Da aber das Bedürfnis, sich über die Literatur und die Lesungen auszutauschen sehr groß war, wurde die Idee einer regelmäßigen Tagung von Kinder- und Jugendbuchautor*innen geboren und 1964 erstmals unter dem Titel „TREFFPUNKT HANNOVER“ realisiert; damals dabei waren James Krüss, Hans Peter Richter, Michael Ende, Ingeborg Bayer, Mira Lobe (A), Sebastian Lybeck (S), Eveline Hasler (CH) und viele weitere Autor*innen. Diese regelmäßige Zusammenkunft in Hannover hat in vielerlei Hinsicht die Entwicklung der Arbeit des Friedrich-Bödecker-Kreises beeinflusst. Man diskutierte über Literatur, über die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen und aktuelle Probleme, gleichzeitig aber auch sehr intensiv über die Vermittlung der Kinder- und Jugendliteratur, also über die Lesungen. Hier wurden die Grundzüge und Konzepte entwickelt, nach denen sich die Arbeit des Friedrich-Bödecker-Kreises weiter entwickelte. Hier entstanden Kontakte, die die Verbreitung der Aktivitäten in der ganzen Republik vorbereiteten. Es wurden Landesverbände in Hessen (1968), NRW (1970), Bayern (1978), Baden-Würtemberg (1979) usw. gegründet. Seit 1981 gibt es einen Bundesverband der Friedrich-Bödecker-Kreise, der u.a. das Verzeichnis „Autorenbegegnungen …“ herausgibt. Dieses wichtige Hilfsmittel zur Vorbereitung der Lesungen wird regelmäßig aktualisiert und ist auch im Internet zugänglich.
Frühe Kontakte in die DDR, Vereinsgründungen nach dem Mauerfall
Bereits seit 1956 gab es Kontakte zum Schriftstellerverband der DDR. Auch wenn es sehr lange dauerte, bis Kinder- und Jugendbuchautor*innen aus der DDR am „TREFFPUNKT HANNOVER“ teilnehmen konnten und auf Lesereise in Westdeutschland gehen durften, führten doch die über lange Jahre gepflegten guten Beziehungen zu den Autor*innen aus der DDR dazu, dass dort die Arbeit des Friedrich-Bödecker-Kreises bekannt war und sich nach der Wende bereits in allen fünf neuen Ländern Friedrich-Bödecker-Kreise konstituierten und ihre Arbeit schon im Jahr 1990 bzw. 1991 aufnahmen.
Für die Lese- und Literaturförderung sowie die Verbreitung und Vermittlung von Kinder- und Jugendliteratur ist die Arbeit der Friedrich-Bödecker-Kreise heute nicht mehr wegzudenken. Dem unermüdlichen Engagement von Hans Bödecker und seiner Familie ist diese Aufbauleistung zu verdanken. Im Jahr 2000 hat Hans Bödecker den Vorsitz des Landesverbandes in Niedersachsen an seine Tochter Insa Bödecker abgegeben. Die familiäre Tradition und das entsprechende Engagement bleiben auf diese Weise erhalten.
Die Geschichte des Friedrich-Bödecker-Kreises ist ausführlich nachzulesen in „Autorenbegegnungen – 50 Jahre Leseförderung durch den Friedrich-Bödecker-Kreis“.